Von Rhaban Straumann (www.rhabanstraumann.ch)
Manchmal ist Zeit, sich zu Glück, Pech und Zufall Gedanken zu machen. Der November eignet sich gut. Vor einem halben Jahr, Mitte April war die grosse Künstlerbörse der Schweizer Kleinkunstszene. Schaukasten der Eitelkeiten, Seiltanz zwischen Grosszügigkeit und Konkurrenz sowie Brutkasten des Erfolgs. Dort bewährt sich der richtige Mix des Cocktails: Talent, Können und Riecher, Hartnäckigkeit, Beziehungen und Glück. Sowie Multiplikatoren, die einen allfälligen Erfolg kommunizieren. Wollen.
Doch macht nicht erst Erfolg erst richtig erfolgreich? Bis die Gage derart unartig hoch wird, damit eine Handvoll Auftritte jährlich genügen würde? Oder reicht es, wenn die Leidenschaft zur Existenz wird? Welche Rolle spielen Fernsehen und Radio? Ist das Welt bewegend? Relevant? Kaum.
Wenn ich Erfolg höre, sehe ich eine fliegende Kuh. Das war 2010, zwischen Gastspielen in Konolfingen und Heidelberg. Beim Künstlerpech ist es der erste Auftritt an besagter Börse in Thun. 2004. Stück und Ensemble hiessen ‚Amor, Venus & Koller’. Das Künstlerdasein war eines ohne Agentur und Beziehungen, gänzlich unbekannt. Gezeigt wurden 20 Minuten. Ein begehrtes Zeitfenster. Jährlich melden sich Hunderte Ensembles und Einzelkünstlerinnen zum Familienfest der Kulturvereine an. Zum Handkuss kamen heuer rund 80. Die Mehrheit der Kleinbühnen gestaltet ihren Programmkuchen aus dem Teig, welcher ihnen da präsentiert wird. Ein Riesenglück also, dort auftreten zu können.
Pech, dass das Stück, welches im Hirn eines Mannes spielte, pantomimisch anmoderiert wurde. Um halb vor Mitternacht. „Gut gespielt, nix verstanden“, war die Rückmeldung. Ein Tausendköpfiges Unisono. Von Folgeauftritten, die Idee der Börse, keine Rede. Trotzdem spielten wir uns 50 Mal. Auch in Zürich, Bern und für das Team des Kassensturz’. Erst zuletzt Daheim in Olten. Kleiner Erfolg, grosse Genugtuung. Künstler leben auch ohne Börse. Nur ist der Weg ein anderer. Steiniger. Steil und fordernd. Das Folgestück ‚monopoly’ wurde am Telefon von Veranstaltern mit „habe euch in Thun gesehen“ abgelehnt. Scheitern kann nachhaltig Weh tun.
Sieben Jahre hiernach war uns das Börsenglück erneut hold. Dazwischen liegen einige 100 Gastspiele, aufgelöste und neue Ensembles, jährlich zwei Anmeldungen mit neuen Programmen in Thun, endlich eine Agentur und schau her: Ein Doppelgastspiel. ‚Ges(t)ammelte Werke’ und ‚ungerdüre’. Schönes Glück, grosses Echo. Dumm nur, dass die Programme schier schon ausgespielt waren.
Heuer, drei Jahre und nochmals mehrere 100 Gastspiele später, die Agentur eine neue, hatten ‚Ruedi & Heinz’ ihren Börsenauftritt. Beziehungen? Gute Frage. Die Bessere lautet: Wer hat die Besseren? Wer darf jede neue Produktion präsentieren? Wer nie? Die dumme Frage: Ist das gerecht? Bestimmen tut die Auswahlkommission. Und zuvor die Vorauswahlkommission.
Der Auftritt von ‚Ruedi & Heinz’ war ein Erfolg. Nachhaltig. Wir können bis im Herbst 2015 davon zehren. Welch ein Glück! Derweil frage ich mich, wie viel Platz haben Land und Szene für Zufälle und denke an die Kuh, welche ich auf dem Heimweg von Konolfingen fliegen sah. Ein Betrunkener fuhr sie an. Zufall. Dumm und tragisch. Für mich fest verankert mit dem Gastspiel von ‚genmobbing’ tags darauf in Heidelberg, wo das Stück für den Theaterpreis nominiert war. Ohne Beziehungen. Ohne Agentur. Ein Erfolg? Egal. Den andern Weg erkämpft und entdeckt zu haben, im Wissen selbst darauf verzichten zu können, das macht glücklich. Und frei.
Rhaban Straumann (Stohmann-Kauz)
Schauspieler und Satiriker, Olten